Liebe Freunde des Cursillos,
Ich bin Waltraud Brückl und seit acht Jahren Mitarbeiterin im Cursillo München. Ich habe mir heute Gedanken gemacht zum Thema „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.“ Ich bin bei der Bergmesse in Maria Eck. Es ist Mitte Juni. In der wunderschönen Umgebung hinter dem Kloster blieben mir folgende Worte aus dem Matthäusevangelium, die Bruder Christian eben vorgelesen hat, im Gedächtnis hängen „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben“. Umsonst empfangen.
In der schönen Bergkulisse kann man diese Worte gut nachvollziehen. Die Berge „stehen“ einfach da, laden zum Wandern und Erholen ein, die Sonne scheint, die Natur ist in diesem Jahr Dank des Regens im Frühjahr reich erblüht, die Insekten summen, die Kühe grasen mit einem feinen Glockengeläut auf der Weide vor sich hin und vervollkommnen die Idylle. „Rundherum steht uns alles umsonst zur Verfügung,“ denke ich. Es ist ohne Gegenleistung einfach für alle da.
Ich überlege weiter: „Was erhalte ich so alles Tag für Tag, Jahr für Jahr umsonst?“ Anlässlich meiner Geburtstagsfeier vor kurzem ist mir dies wieder so richtig bewusst geworden. Was ist mir in meinem mittlerweile doch etwas längerem Leben nicht schon alles umsonst geschenkt worden? Das Hineingeboren werden in eine „ganz normale“ Familie in einem reichen christlich geprägten Land. Dass ich behütet ohne Hunger, Angst vor Katastrophen und Krieg aufwachsen durfte. Dass ich eine Ausbildung für meinen Wunschberuf Erzieherin machen konnte; mit unzähligen guten Erfahrungen und im lebhaften Austausch mit Mitstudierenden. Wir hatten die Vorstellung mit guter Pädagogik die ganze Welt verbessern zu können. Mit einzelnen verbindet mich bis heute eine tiefe Freundschaft.
Vor vierzig Jahren war es mir möglich mit meinem Mann ein eigenes Haus für die Familie zu bauen, weil wir eignen Baugrund zur Verfügung hatten. Für viele bestand und besteht diese Option nicht. Vier Kindern das Leben schenken zu dürfen und nun zu sehen, wie sie sich zu selbstbewussten, selbstverantwortlichen und reifen Erwachsenen entwickeln haben. Nicht zu vergessen ist das wertvolle Geschenk der vier Enkelkinder, die mir noch mehr das Gefühl von umsonst empfangen geben.
Wenn ich an all die Zeit denke, die so viele Menschen umsonst mit mir teilen, mir zuhören, mit mir mitleiden, mich unterstützen, wenn es mal brennt, wird mir bewusst, all dies ist nicht selbstverständlich. Ich brauche nicht einmal eine Gegenleistung zu erbringen. Nun komme ich zum zweiten Aspekt dieses Bibelverses: Umsonst sollt ihr geben. Kommentare in unserer Zeit, die jeder kennt, sind „was bekomme ich dafür?“ „Die anderen sollen sich auch einmal kümmern. Warum immer nur ich?“ Ich kann mich gut an diese Bemerkungen aus meiner Zeit als Ehrenamtliche in der Pfarrei erinnern. Ich war im Pfarrgemeinderat, habe Jugend-, Kommunion- und Firmgruppen geleitet und so weiter. Da hörte ich des Öfteren in meiner Familie. „Warum machst Du das umsonst? Für das gleiche könntest du doch in der Arbeit Geld bekommen“.
Eine Freundin kümmert sich immer wieder um ausländische Mitbürger bei Behördengängen. Oft läuft alles gut, aber manchmal gibt es auch keine Erfolge zu verbuchen. Das Zutun der Bittsteller lässt vielleicht zu wünschen übrig oder die Klientin erscheint trotz wiederholter Absprachen zu spät oder nicht. Dann wird sie mit der Aussage konfrontiert „Warum lässt Du Dich von denen ausnutzen?“ Ich bewundere sie sehr, weil sie sich diese Frage nicht stellt, sondern einfach umsonst handelt.
Wir sind in einer kapitalistischen, gewinnoptimierenden und nach materiellen Erfolgen strebenden Gesellschaft aufgewachsen und geprägt worden. Die Zeit des Aufbaus hat ihre Berechtigung und war sicher wichtig, damit in Deutschland nach dem Krieg und in den Zeiten des Wirtschaftswunders auch ein gutes Sozialsystem aufgebaut werden konnte und es den meisten besser ging. Wirtschaftswachstum, steigender Wohlstand und eine Haltung, die geprägt ist von „schneller, höher, weiter“ oder „Geiz ist geil“ drängen sich immer mehr in den Mittelpunkt und wollen alles, wollen mich bestimmen.
Mir wird klar, es geht in diesem Vers um eine Haltung in mir selbst, die uns Gott anbietet, oder mehr noch, anrät, zu entwickeln. Nicht das „sollen“ steht im Mittelpunkt, welches ich als „brav“ erzogenes Mädchen fast automatisch als „müssen“ definiere und das postwendend Abwehr in mir erzeugt. Es geht vielmehr um eine klare Entscheidung, wie ich mein geschenktes Leben für mich und für meine Mitmenschen einsetze und nach meinen Fähigkeiten (Talenten) und Möglichkeiten mitgestalte.
Ich suche mir neben der Einheitsübersetzung noch eine Ausgabe von Martin Luther und lese hier: „Umsonst hab ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch.“ Das klingt in meinen Ohren noch etwas konkreter und erzeugt weniger Widerstand in mir. „Ihr es empfangen“, hat mich angeregt zu suchen, was das „es“ konkret für mich sein könnte und mich zu vorhin erzählten Beispielen geführt. Vielleicht regt es Dich liebe Zuhörerin, lieber Zuhörer auch zum Nachforschen bei Dir selbst an. „Umsonst gebt es auch“ kann ich so lesen und interpretieren, als wäre es ganz selbstverständlich, ganz natürlich. Ich kann es einordnen als eine logische Schlussfolgerung, die gar kein anderes Handeln zulässt.
Diese Überlegung lässt mich an eine Aussage von Madeleine Delbrel denken, deren Gedanken zu Exerzitien ich im Buch „Ergriffen von Gott“ vor kurzem las. Madeleine Debrel ist eine bemerkenswerte Frau, die in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in einer säkularisierten Arbeitervorstadt von Paris lebte und ihren Weg als Christin fand und ihr Christsein mit viel Leidenschaft und Engagement lebte, indem sie ihre Fähigkeiten und Zugewandtheit zu den Menschen umsonst gab. Sie lebte aus der Erkenntnis „Denn ein einziges Wort des HERRN, das in uns geschieht“, ist besser als stundenlanger Meinungsaustausch, mag er noch so herzerwärmend sein. Und sie betont: “in uns geschieht“. Das heißt: Es verlangt erst einmal keine Aktion, sondern Passivität. Es geht darum, dass ich auf Gottes Worte, vielleicht leiseren Worten, hinhöre, die oft nicht dem Mainstream entsprechen. „Das machen doch alle“ wird schnell als Argument für kleine „Verfehlungen“ entschuldigend gesagt oder „Sonst kümmert es auch niemanden“. Nur durch dieses Innehalten und Hinhören kann in mir etwas geschehen und wirken. Dies ist nötig, damit ich ohne falschen Aktivismus oder auch Selbstüberforderung umsonst geben kann.
Ich schlage noch eine weitere Bibelübersetzung von Albert Kammermayer auf. Zu meinem Erstaunen lese ich den Satz dort umgedreht. „Tut alles, ohne etwas dafür zu verlangen, denn ihr habt auch die Kraft dazu umsonst bekommen.“ Das kann ich gut nachvollziehen. Vielmals habe ich erfahren, wie mir in Situation, die mich an meine Belastungsgrenzen brachten, Kräfte zuflossen, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Viele kennen dies wohl vom Wandern oder Pilgern. Ich erinnere mich gut an einen Abend nach einer sehr anstrengenden Pilgerstrecke, auf der wir uns ein Stück verlaufen hatten und der Weg dann endlos schien. Nach dem Abendessen war mein einziges Bestreben so schnell als möglich ins Bett zu kommen. Ich wartete vor der Zimmertür auf meine Bettnachbarin, die sich Zeit ließ. Da sprachen mich drei Mitpilgerinnen an, doch noch ein wenig zu ihnen aufs Zimmer zu kommen und von Cursillo zu erzählen. Im ersten Moment dachte ich: „Nein, lieber Gott, nicht jetzt. Das pack ich nicht mehr heute. Und wenn ich von Cursillo erzähle, soll das doch begeistert rüberkommen. Jetzt habe ich keine Energie mehr für Begeisterung.“ Ich weiß nicht mehr, was ich erzählt habe, aber es hat wohl so angesteckt, dass sich alle drei zu einem der nächsten Kurse angemeldet haben. Die Kraft dazu kam gewiss nicht aus mir selbst, sie wurde mir umsonst geschenkt.
Nur wenn wir die Kraft, die wir im fröhlichen Miteinander, in unserem Familien- und Freundeskreis, im stillen Gebet, in der Natur am frühen Morgen oder aus einem mit Christus verbundenen Gottesdienst umsonst geschenkt bekommen haben, spontan und reichlich weitergeben, ohne etwas zu verlangen, zu erwarten oder aufzurechnen, wird sich die Herrlichkeit Gottes schon heute ausbreiten.
Es grüßt euch ganz herzlich
Waltraud Brückl, Cursillo München
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