Herzlich willkommen zur heutigen Audiobotschaft. Schön, dass Du zuhören oder meine Gedanken dazu lesen magst. Ich bin Waltraud Brückl und Mitarbeiterin der Cursillo Bewegung München. Vielleicht spricht Dich das eine oder andere an und ist Dir für Deinen Lebens- und Glaubensweg hilfreich.
„Auch sehen! Ich will auch sehen“. Die dreijährige Sina läuft quer durch den Gruppenraum des Kindergartens, in dem ich seit 25 Jahren arbeite, auf mich zu. Ich sitze mit einer großen Holzschale, in der ich eine Holzkugel kreisen lasse, inmitten einer Kinderschar, die fasziniert das Rollen der Kugel beobachtet. Angelockt von der gespannt interessierten Atmosphäre und den erstaunten Ausrufen der anderen Kinder will Sina auch sehen. Dabei sein, miterleben, wie Faszinierendes passiert und die Dinge, die Menschen und die Welt „durchschauen“, erkennen, ist nicht nur für kleine Kinder wichtig und spannend.
Eine andere Szene: „Wen, welche Persönlichkeit, würden Sie gerne treffen, wenn Sie dazu die Möglichkeit bekämen?“ Dies ist eine beliebte Frage zur Einstimmung auf Seminaren zur Kommunikations- oder Persönlichkeitsentwicklung. Und vielleicht eine Überlegung, die Du selber schon einmal angestellt hast. In den 80er und 90er Jahren konnte ich da prompt eine Antwort geben. „Richard von Weizäcker würde ich gerne kennenlernen.“ Der damalige Bundespräsident schien mir eine herausragende Persönlichkeit, an die ich gerne so manche Frage gestellt hätte. Denn trotz einiger Interviews, die ich gesehen und trotz Kritiken über ihn, die ich durchforstet hatte, und auch nach dem Lesen einer Biographie, blieb für mich noch Vieles offen. Ich wollte ihn einfach einmal live sehen, mir ein Bild von ihm machen und spüren, ob er echt und authentisch ist.
Vielleicht ist mir gerade aus diesen Erfahrungen heraus ein Satz aus dem heutigen Johannesevangelium, das in den katholischen Kirchen am 17. März 2024 gelesen wird, hängen geblieben. „Wir wollen Jesus sehen.“ Obwohl es sich nur um einen Nebensatz handelt, möchte ich ihn heute aufgreifen und mit Dir darüber nachdenken. „Wir wollen Jesus sehen.“ Diese Bitte kommt hier aus dem Mund von Griechen, also Nichtjuden, die zum Paschafest nach Jerusalem kommen, um Gott anzubeten.
Dass Jesus Aufsehen erregte und die Menschen ihn sehen wollten, lesen wir öfter in der Bibel. Ich denke, die meisten kennen die Erzählung von dem klein gewachsenen Zachäus, dem obersten Zollpächter, der extra auf einen Maulbeerfeigenbaum stieg, um über die Menschenmassen hinwegzusehen. Für mich beeindruckend ist der Wunsch, Jesus zu sehen, auch in dem Film „The Chosen“ in einzelnen Szenen dargestellt, z. B. wenn ein Haus, indem Jesus lehrt oder heilt, so überfüllt ist, dass es nur noch möglich ist, einen Blick durchs Fenster auf ihn zu erhaschen. Und in der heutigen Bibelstelle sind es ja nicht einmal gläubige Juden, die eine Auslegung der Schriften hören und erleben wollen, sondern Glaubensfremde. Was wollten sie „sehen“? Oder wie es in der Bibel manches Mal noch treffender mit dem Wort „schauen“ formuliert wird.
Ich denke, es ging vielen Menschen nicht nur um ein oberflächliches Kennenlernen bei einem Smalltalk oder das Befriedigen einer Sensationslust. Vielmehr wollten sie Jesus erfahren, erspüren, den Menschen Jesu und seine Heils-Botschaft kennenlernen. In der Kammermeyer-Bibel wird „sehen“ im Gegensatz zur Einheits- oder Lutherübersetzung mit „ihn kennenlernen“ beschrieben. Zu Lebzeiten Jesu gab es viele Unruhen, Zerrissenheit und Ausgegrenzt sein, verbunden mit zahlreichen rationalen und irrationalen Ängsten. Es war wohl auch nicht anders als wir unsere Welt heute erleben. Ich denke, es steckte und steckt eine große Sehnsucht nach dem Wesentlichen des Glaubens und somit des Lebens dahinter. „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche bleibt dem Auge unsichtbar“, ein Ausspruch von Antoine de Saint-Exupery im „Kleinen Prinzen“ bringt es auf den Punkt.
„Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Ist dieser Satz der Schlüssel für heute, um Jesus zu sehen? ihn kennenzulernen. Denn rein physisch gesehen ist dies ja nicht möglich, auch wenn ich es mir noch so wünschen würde. Es hilft weder ein auf den Baumsteigen, wie es Zachäus getan hat, noch ein auf Jesus neugierig zu sein aus einer anderen Weltanschauung heraus, wie wir es zu Beginn im heutigen Evangelium lesen. Und auch ein noch so gut gemachter Film wie „The Chosen“ bringt mich immer nur ein kleines Stückchen weiter.
Ich will Jesus sehen. – Da fällt mir eine Aussage ein, die sicher vielen bekannt ist. Wenn Du eine Situation nicht ändern kannst, dann ändere wenigstens deine Einstellung (deine Haltung) dazu. Ja, es bringt mir nichts, Jesus persönlich kennenlernen zu wollen. Aber, um im Bilde zu bleiben, „auf einen Baum steigen“, eine andere Perspektive einnehmen, das kann ich versuchen. Das heißt für mich, über das Vordergründige, das oft so viel Raum und Zeit einnimmt, hinwegsehen und offen zu sein wie die Griechen, die über Philippus einen Zugang zu Jesus suchen. Wir nennen es über den Tellerrand hinausschauen. Ich kann eine andere Meinung anhören und diese nicht sofort mit „Das weiß ich schon“ oder „Das geht nicht. Das haben wir immer schon so gemacht!“ totschlagen.
Eine Haltung des sich Trauens, das Ungewohnte in den Blick nehmen, dem Nichtvertrauten eine Chance geben, auf die Fremden zu schauen, muss und darf sich in mir breit machen. Dazu gehört für mich auch, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen und der Gleichgültigkeit und eigenen Bequemlichkeit, die sich oft schleichend einstellt, entgegen zu treten.
Ich kann versuchen, Situationen, die Welt und Menschen nicht automatisch in gut und bös, in richtig und falsch, in erste und dritte Welt einzuteilen oder in Schubladen zu stecken und mir vorschnell eine Meinung zu bilden. Solch ein Versuch, zu einer non-dualistische Haltung zu kommen, würde mich Jesus viel näherbringen und wohl auch den Mitmenschen.
Eine weitere Chance, Jesus zu sehen, ihn kennen zu lernen, ist, ihn in anderen Menschen zu sehen. Mir fällt dazu eine gute Freundin ein, die bei pauschalen und negativen Aussagen über eine andere Person oder Situation eine leise Frage stellt, die noch einen anderen Aspekt aufzeigt und mich zum Nachdenken bringt. Da spüre ich, sie ist durchlässig für Jesu Liebe und zeigt mir Jesus. Oder eine andere Freundin, die seit vielen Jahren Krankenschwester auf der Intensivstation eines großen Krankenhauses ist. Sie sagt von sich, nicht gläubig zu sein, weil sie von der Amtskirche zu sehr enttäuscht wurde. Ich erlebe sie ganz anders. Ich sehe ein Stück Jesus in ihr, wenn sie mit Hingabe die Schwerstkranken pflegt (oft weit über die Standards hinaus) und ihre Angehörigen zugewandt begleitet. Und sie spricht Missstände gegenüber Vorgesetzten und Ärzten klar an und drängt beharrlich auf Abhilfe. Sie sieht trotz Pflegenotstand und Fallpauschalen nur den einzelnen Menschen. Ist das nicht Jesus-like?
Ich denke, auch Du kennst Menschen, die Dir durch ihr Sein und Handeln Jesus zeigen. Also machen wir unsere Augen und Herzen auf, erzählen uns gute Geschichten und „sehen“ Jesus mitten unter uns.
Und übrigens: Jetzt habe ich wirklich nur über einen Nebensatz im heutigen Evangelium von Johannes, Kapitel 12, 20 – 26 nachgedacht. Aber es steht noch so viel mehr drin. Siehe selbst.
Dazu finden wir eines meiner Lieblingslieder aus Taizé „Meine Hoffnung und meine Freude“ in unserem Cursillo-Liederbuch, Nr. 109 zum Mitsingen.
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